Friedensnobelpreis 1937: Robert Cecil of Chelwood

Friedensnobelpreis 1937: Robert Cecil of Chelwood
Friedensnobelpreis 1937: Robert Cecil of Chelwood
 
Der Spross einer berühmten englischen Adelsfamilie wurde als einer der geistigen Väter des Völkerbunds und als entschiedener Befürworter der Staatengemeinschaft ausgezeichnet.
 
 
Edgar Algernon Robert Gascoyne-Cecil, 1. Viscount, (ab 1923) Cecil of Chelwood, * Salisbury (Wiltshire) 14. 9. 1864, ✝ Tunbridge Wells (Kent) 24. 11. 1958; englischer Rechtsanwalt, Politiker und Diplomat, 1914-18 Mitglied der britischen Regierung, 1920-22 Vertreter Südafrikas im Völkerbund, 1923-27 britischer Völkerbunddiplomat, 1946 Wahl zum Ehrenpräsidenten der UNO.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Die Cecils gehören zur ersten Garde der britischen Aristokratie. Aus den zahlreichen mehr oder weniger prominenten Mitgliedern der Adelsfamilie ragt vor allem Robert Arthur Talbot Gascoyne-Cecil, 3. Marquess of Cecil hervor. Der Vater des Friedensnobelpreisträgers von 1937, fast 30 Jahre lang in führenden Regierungsämtern tätig, gilt als einer der Baumeister des britischen Kolonialimperiums, das er im Burenkrieg um das spätere Dominion Südafrikanische Union erweiterte.
 
Knapp 20 Jahre nach dem Ende des von beiden Seiten mit äußerster Härte geführten Kriegs wurde sein Sohn, Robert Cecil of Chelwood, Vertreter der Südafrikanischen Union beim Völkerbund — auf Vorschlag seines südafrikanischen Freundes Jan Christian Smuts (1870-1950), der im Guerillakrieg der Buren als General seine Truppen noch gegen die Briten geführt hatte. In der Freundschaft der beiden Männer spiegelt sich die Wende im Zusammenleben der Nationen wider, die nach den bitteren Erfahrungen des Ersten Weltkriegs zur Gründung einer Friedensorganisation führte: des Völkerbunds. Durch ihn sollten alle künftigen internationalen Konflikte am Verhandlungstisch gelöst werden. Am Entwurf der Satzung dieser Staatengemeinschaft sowie an ihrem Aufbau in den 1920er-Jahren hatte Robert Cecil of Chelwood maßgeblichen Anteil, und dafür zeichnete ihn das Osloer Nobelpreiskomitee im Dezember 1937 mit dem Friedensnobelpreis aus.
 
 Ein konservativer Friedenskämpfer
 
Zur Zeit des Burenkriegs war freilich noch nicht vorauszusehen, dass sich Robert Cecil of Chelwood einmal um den Weltfrieden verdient machen sollte. Der junge Mann hatte nach der standesgemäßen Ausbildung an Eliteschulen und -universitäten die Rechtsanwaltslaufbahn eingeschlagen und rasch Karriere gemacht. Mehrmals vertrat er die britische Regierung vor Gericht, übrigens auch in einem Rechtsstreit mit Alfred Nobel. Politisch folgte Robert Cecil of Chelwood der Tradition seiner Klasse und trat deshalb 1906 bei den Wahlen zum Unterhaus mit Erfolg als Kandidat der Konservativen an.
 
Robert Cecil of Chelwood hätte wohl auch gern als Soldat am Ersten Weltkrieg teilgenommen, doch war er 1914 als 50-jähriger für den Kriegsdienst schon zu alt und musste sich daher mit dem Dienst im Roten Kreuz und später dann mit mehreren wichtigen Regierungsämtern, unter anderem als Unterstaatssekretär des Auswärtigen Amts und Blockademinister, begnügen. Doch schon in den ersten Kriegsjahren wandelte sich seine Einstellung zum Krieg, vielleicht unter dem Eindruck der Erfahrungen, die er in den Lazaretten gesammelt hatte. Er gelangte zu der Überzeugung, dass die zivilisierte Menschheit nur dann überleben könne, wenn es ihr gelänge, ein wirksames Instrument der Friedenssicherung zu entwickeln — während die Regierung des Königreichs zur gleichen Zeit weiterhin konsequent auf militärische Mittel zur Konfliktlösung setzte und den »Krieg bis zum bitteren Ende« vorantrieb.
 
Diese Kluft zwischen seiner inneren pazifistischen Überzeugung und dem Anspruch der britischen Regierung, zur Wahrung britischer Interessen notfalls auch Kriege führen zu dürfen, zog sich durch die gesamten Jahre, in denen Robert Cecil of Chelwood als Vertreter des Vereinigten Königreichs an der Errichtung und Entwicklung des Völkerbunds beteiligt war. Zwangsläufig musste es zu Spannungen kommen, gerade bei einem Mann, der das Erbe seiner Herkunft nicht einfach ablegen konnte, von der politischen Grundüberzeugung her stets ein Konservativer blieb oder — wie es ein Kritiker einmal polemisch ausdrückte — »mit dem einen Bein noch im Mittelalter, dem anderen aber schon im Völkerbund stand«.
 
Robert Cecil of Chelwood beschäftigte sich etwa ab 1916 mit der Frage, wie in Zukunft ein Krieg verhindert werden könnte, und verfasste dazu im Herbst dieses Jahres eine Denkschrift. Nach den darin festgeschriebenen Grundsätzen führte er 1919 auf der Pariser Friedenskonferenz als britischer Delegierter die Verhandlungen zur Gründung des Völkerbunds, allerdings nicht immer im Sinn seiner Regierung. Robert Cecil of Chelwood forderte beispielsweise, dass auch die Verlierer des Ersten Weltkriegs im Völkerbund Sitz und Stimme erhalten sollten, konnte sich jedoch mit seiner Forderung nicht durchsetzen. Als der Völkerbund 1920 seine Arbeit aufnahm, weigerte sich die britische Regierung, Lord Robert als Delegierten zu entsenden, weil man befürchtete, er würde die Interessen des Vereinigten Königreichs nicht entschieden genug vertreten. Stattdessen nahm er von 1920 bis 1922 (und von jedem Zwang zur Rücksichtnahme auf nationale britische Interessen befreit) als Vertreter der Südafrikanischen Union an den Versammlungen des Völkerbunds teil, ließ sich 1923 dann aber doch von Stanley Baldwin, dem Chef der neuen konservativen Regierung, dazu überreden, das Amt des britischen Delegierten in der Bundesversammlung und im Völkerbundsrat zu übernehmen.
 
 Jetzt erst recht!
 
Die Kluft war nicht zu überbrücken, insbesondere in der Frage der Abrüstung, in der es 1927 zum offenen Bruch zwischen der britischen Regierung und ihrem Vertreter im Völkerbund kam. Robert Cecil of Chelwood zog sich 1932 von seinem offiziellen Amt zurück. Als Präsident verschiedener Organisationen, die wie die International Federation of League of Nations Societies oder die britische League of Nations Union den Gedanken der Staatengemeinschaft förderten, sowie als Initiator von Friedenskampagnen setzte er jedoch seine Arbeit für den Frieden fort. 1934 startete er zusammen mit dem französischen Politiker Pierre Cot eine internationale Friedenskampagne, im selben Jahr in Großbritannien darüber hinaus die so genannte »Urabstimmung für den Frieden«, bei der sich die britischen Wähler mit überwältigender Mehrheit für die Ziele des Völkerbunds aussprachen: Mehr als elf Millionen waren für die Staatengemeinschaft, fast ebenso viele für die Abrüstung, rund zehn Millionen hielten wirtschaftliche Strafmaßnahmen gegen Friedensbrecher für notwendig und gerechtfertigt. Gerade jedoch bei konsequenten Maßnahmen gegen Aggressoren versagte der Völkerbund, etwa 1931/32 beim Überfall der Japaner auf die Mandschurei oder 1935/36 bei der Eroberung Äthiopiens durch italienische Truppen. Und im Zweiten Weltkrieg wurde die Ohnmacht des Völkerbunds noch deutlicher.
 
P. Göbel

Universal-Lexikon. 2012.

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